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Die Schwäche des Terroristen: Anfang eines Rätsels

Frühjahr 1980

Der rechtsradikale Aktivist, ehemalige Terrorist und vielfach verurteilte Berufsverbrecher Udo Albrecht war im vergangenen Spätherbst aus einem Bochumer Gefängnis entlassen worden. Als alter Kämpfer der PLO, der Ende der 60er-Jahre die Infotische westdeutscher Fußgängerzonen gegen Stellungen arabischer Freiheitskämpfer vertauscht hatte, hatte er sich nicht nur im Nahen Osten hervorgetan. Auch die Operationen der PLO in Europa unterstützte Albrecht nach Kräften. Leider war dabei einiges schief gegangen.

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Als „Dr. Jäger“ hatte Albrecht sein Unwesen in der Schweiz getrieben, zahlreiche Konten und Waffenlager eingerichtet und dann die Chuzpe besessen, am Heiligen Abend 1970 mehrere Schuhkartons mit Sprengstoff durchs Berner Land zu chauffieren. Die weihnachtliche Verhaftung war gleichzeitig der Beginn einer Karriere als Ausbrecherkönig: Albrecht floh ab diesem Zeitpunkt immer wieder aus bundesdeutschen Gefängnissen.

Manchmal hatte er sein Glück kaum fassen können. Immer wieder gelangen waghalsige Ausbrüche, Handschellen waren abzuschließen vergessen worden oder die Öffentlichkeitsfahndung in der gefürchteten Sendung „Aktenzeichen XY“ führte die Bevölkerung auf falsche Fährten. Manches dunkle Ding, wie die Waffenbeschaffung für den Olympia-Anschlag, hatten sie Gottseidank nicht herausbekommen, wie es schien.

An einen besonders gespenstischen Moment erinnerte er sich gar nicht gern. Als er nach einigen aufgrund finanzieller Engpässe verübten Banküberfällen in eine Polizeikontrolle geriet, verhaftete man ihn nicht, obwohl die DPA am selben Tag eine reißerische Meldung über seine Verstrickung in die Pläne zur Befreiung der Stammheimer herausgegeben hatte. So viel Glück konnte man eigentlich im Leben nicht haben.

Immer wieder versuchte er sich, noch im Gefängnis, mit Tabletten den alten Schwung zurückzuholen, seine Liebe zu Deutschland und die Erinnerung an das freie Leben bei den Palästinensern. Jünger wurde er nicht mehr.

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Jetzt, nach der Entlassung, hatte er den Plan gefasst, ausrangierte Bundeswehr-LKW über den Weg des offiziellen Kraftfahrzeug-Exports zu den Palästinensern zu schaffen. Das sollte ein wenig Ruhe und Geld bringen. Der Herr Bruder war plötzlich zu Geld gekommen, und man pumpte ihn an, gar nicht nötig, eine weitere Bank zu überfallen.

Nach Silvester stand allerdings plötzlich ein ihm unbekannter Mann vor der Tür, der ihn unverblümt auf diese Pläne ansprach. Sein hartes Auftreten und der bedrohlich schleimige Unterton in der Stimme, aber auch das Wissen um alles, was Albrecht seit Jahren auf dem Herzen lag, machten jeden Widerspruch unmöglich. Der glatzköpfige Unbekannte schlug vor, Informationen aus dem Nahen Osten zu beschaffen; im Gegenzug sollten die Kraftfahrzeugtransporte unterstützt werden und man würde darauf verzichten, Albrecht die alten Geschichten vorzuhalten, bei denen er so großes Glück gehabt hatte.

Albrecht sollte auch einen gewissen Hoffmann auf solche Transporte ansprechen.

Der Privatdetektiv und Westentaschen-James Bond Werner Mauss war zu jener Zeit bestrebt, sein Äußeres zu ändern. Zu diesem Zweck hatte er sich unter Anderem Haare auf die Glatze transplantieren lassen, ein tarnendes Unterfangen, das Ende der 70er-Jahre noch durchaus als filmreif gelten konnte. Vergangenen Sommer war Mauss zum legendären „Chef“ der noch nicht  verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann, Karl Heinz Hoffmann, gefahren und hatte ihm angeboten, seinen Männern einen Drachenflug zu spendieren. Hoffmann hatte dieses Ansinnen angesichts des merkwürdigen Auftretens dieses spendablen Mannes abgewiesen.

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Nach dem Verbot der Wehrsportgruppe hatte sich Albrecht unter falschem Namen bei Hoffmann gemeldet und einen Fahrzeugtransport vorgeschlagen. Tatsächlich kam nie ein Geschäft zwischen den beiden zustande; aber Albrecht offenbarte sich Hoffmann und bot ihm Hilfe dabei an, Verbindungen in den Libanon zu knüpfen.

Weder Mauss noch Albrecht erklärten Hoffmann in diesem Frühjahr 1980, wohin die Reise gehen sollte. Zur PLO, zu den christlichen Falangisten, zu einer anderen der zahllosen Milizen und chaotischen Gruppen dort? Allerdings riet Albrecht Hoffmann, zu einem gewissen Anwalt in Recklinghausen zu gehen und dort Provisionsvereinbarungen über seine zukünftigen Geschäfte im Libanon zu unterzeichnen.

Dieser Anwalt war zufällig der alte Strafverteidiger von Albrecht, der so viele günstige Urteile für ihn herausschlug und ihm die Kontakte in den Nahen Osten verschafft hatte. Ein umtriebiger Mann mit guten Kontakten zur PLO und zu gewissen Stellen in der CSSR.

Ohne Titel

Der Vertrag regelte in einer kleingedruckten Klausel Hoffmanns angebliche zukünftige Geschäfte mit den Falangisten, wo Albrecht ihn doch zur PLO bringen sollte. Hätte man diesen Vertrag später an die Presse gegeben, wäre die PLO-Führung wohl nicht umhin gekommen, Hoffmann standrechtlich erschießen zu lassen.

In diesem März 1980 waren jene Akten des BND, die Hoffmann erst im Winter 2014/15 über das Fernsehen zu sehen bekommen sollte, und die ihn scheinbar als Kontaktmann italienischer Faschisten im Libanon und libanesischer Falangisten ausweisen, schon einige Monate alt.

Dabei kam alles ganz anders.

Das ist die Geschichte des Oktoberfestattentats. Als Erzähler treten auf: Überlebende, Protokollführer der Geheimdienste und der Gerichte, Schuldige und Unschuldige, Unbeteiligte. Wir widmen diesen Blog den Toten, denen, deren Leben durch den Staatsterrorismus vergiftet worden ist und den zu unrecht Verfolgten.