Das letzte Kapitel im sehr umfangreichen Buch, absolut lesenswert.
Gewissermassen sein Vermächtnis.
Ein öffentlich-rechtlicher Sender – finanziert aus Steuermitteln
Gibt es ARD und ZDF nur noch, weil es sie gibt? Der Grund des Fortbestehens liege weniger am Zweck als an der Trägheit der Institution, meint der Kultursoziologe Gerhard Schulze. Nach dieser Logik wäre die Pensionskasse die beste Lebensversicherung des ZDF.
Doch sollten sich die Anstalten nicht darauf verlassen, dass die Selbstverständlichkeit ihrer Existenz ausreicht, um das Fortbestehen auf immer und ewig zu garantieren. Das Beispiel Energiewende zeigt, wozu Politiker fähig sind, wenn der Zeitgeist kräftig weht – bei den als unberührbar angesehenen »Energieriesen« herrscht seitdem Heulen und Zähneklappern. Noch steht ja nicht das ganze öffentlich-rechtliche System zur Debatte. Aber bevor es so weit kommt, müsste es kräftig reduziert werden.
Denn der Koloss ist zu groß und unbeweglich geworden. »Too big to fail« gilt nicht bis zum Jüngsten Tag, nicht einmal für ARD und ZDF. Deutschland verfügt über zwei gebührenfinanzierte Fernsehkonzerne mit zwei Hauptprogrammen, insgesamt 22 bundesweit zu empfangenden TV-Kanälen und 67 Radioprogrammen nebst digitalen Zusatzprogrammen zum stolzen Preis von bisher mehr als 7,5 Milliarden Euro. Es ist viel Geld, aber wegen der steigenden Festkosten (Personal, Verwaltung, Pensionsrückstellungen) bleibt immer weniger fürs Programm. Sind beide öffentlich-rechtlichen Senderfamilien, die beide kaum voneinander und immer weniger stark vom Kommerzfernsehen zu unterscheiden sind, wirklich notwendig? Die Debatte darüber hat längst begonnen – und sie wird weniger mit den Betroffenen geführt werden als über ihre Köpfe hinweg, solange sie sich nicht selbst freiwillig bewegen.
Gehen wir die Vorschläge, die bisher in der Debatte sind, durch. Die meisten Reformvorschläge zeigen eine rein ökonomische Perspektive. So auch das stark beachtete »Düsseldorfer Gutachten« von Justus Haucap et al.189 Es geht von »ausreichender medialer Vielfalt« aus, weshalb öffentlich-rechtliche Sender nicht mehr notwendig seien. Vielfalt muss aber mehr sein als nur eine Menge einfältiger Sender, die alle das Gleiche anbieten. Bildung und Kultur können nach meiner Meinung nicht allein dem Markt überlassen werden.
Vorschlag Privatisierung: Ob und welche Privatisierungserlöse zu erzielen wären, gingen ARD oder ZDF in private Hände über, kann niemand auch nur annähernd abschätzen. Privatisieren hieße: ARD und ZDF müssten sich auf dem Markt finanzieren. Sie könnten sich dann lediglich – so wie in Neuseeland – wie alle anderen Marktteilnehmer auch um Subventionen für gesellschaftlich bedeutsame Produktionen bewerben, die von einer Stiftung vergeben werden, die mit den Privatisierungserlösen gegründet würde.
Reformbeispiele gibt es in Nachbarländern. In den Niederlanden zum Beispiel, ähnlich wie zuvor schon in Belgien, soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk besser und kreativer werden. Deshalb wird dort das Budget für die öffentlich-rechtlichen Sender halbiert. Von 2016 an werden sich die Programme vor allem um Information, Bildung und Kultur kümmern. Sendungen, die nur Unterhaltung bieten, werden den Privaten überlassen. Produzenten können sich für passende Projekte um Subventionen bewerben.
Modelle dieser Art werden inzwischen auch in Deutschland diskutiert. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen fand 2014 breite Aufmerksamkeit. Das Papier »Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung« stellt die Frage, ob dort, »wo das privatwirtschaftliche Angebot klare Defizite aufweist«, unbedingt öffentlich-rechtliche Sender einspringen müssten. Eine Alternative wäre auch die »Auslobung und Subventionierung« solcher Inhalte im privaten Sektor. Es gäbe »kaum noch Gründe, warum der Rundfunkmarkt wesentlich anders organisiert sein sollte als der Zeitungsmarkt«.
Es ist allerdings naiv zu glauben, die privaten Sender seien mithilfe öffentlicher Geldspritzen dazu in der Lage, bessere Qualität zu liefern als ein reformierter öffentlich-rechtlicher Sender. Dafür haben sich die Privatsender bisher nicht qualifiziert. Bisher!
Schaut man auf andere Medienbereiche wie Zeitungen oder auch Bücher, beide privatwirtschaftlich organisiert, so zeigt sich, dass in Verlagen trotz Margendruck (= Auflagendruck, was der »Quote« entspricht) und der auch dort zu beklagenden Boulevardisierung und Verflachung immer noch Hochliteratur produziert wird. Dank Quersubventionierung – U finanziert E mit. Auf das Fernsehen ist dieses Prinzip allerdings nicht so einfach übertragbar. Denn die Produktionskosten sind ungleich höher. Qualität kostet im Fernsehen viel Geld.
Der Sinn einer Budgetkürzung wäre es, die Anstalten zu zwingen, sich ihres Auftrags zu besinnen. Eine Halbierung der tatsächlichen Programmkosten (nicht der Gebühren) wäre möglich, wenn sich die Anstalten im Wesentlichen auf Information und Bildung beschränken würden. Das fiktionale Programm müssten dann überwiegend Privatsender liefern. Außerdem herrscht an qualitativ guten fiktionalen Programmen kein Mangel, wie immer mehr Serien belegen, die auf Abo-Kanälen wie Netflix angeboten werden. Viele Mediennutzer sind heute schon bereit, dafür zu bezahlen. Allerdings kommen solche Premiumangebote überwiegend aus dem angelsächsischen Raum. Der englischsprachige Markt ist eben ungleich größer, was die Refinanzierung enorm erleichtert. Inwieweit und wie ein »beschnittener« öffentlicher Sender auch solche deutschsprachigen fiktionalen Programme herstellen und verbreiten sollte, wäre zu diskutieren.
Mit der Pflicht zur sogenannten Grundversorgung der Bevölkerung mit Information, Bildung, Unterhaltung rechtfertigen die Anstalten auch die Ausgaben für sündteure Sportrechte. Die Übertragung von Champions-League-Spielen usw. ist keine Leistung, und schon gar keine, zu der nur öffentlich-rechtliche Sender in der Lage wären. Die Privaten könnten die Rechte mit Werbung refinanzieren, was den Gebührensendern an Sonn- und Feiertagen und nach 20 Uhr weitgehend verwehrt bleibt. Außerdem sind die Fans bereit, für Fußball im TV extra zu bezahlen, wie die inzwischen schwarzen Zahlen für Sky belegen. Wenn Sportrechte in Zukunft noch mehr Geld verschlingen, weil etwa die Bundesliga finanziell zu Englands Premiere League aufschließen möchte, die deutlich höhere Fernseheinnahmen erlöst, werden die Gebührensender ohnehin an Grenzen stoßen. Es kann ja nicht sein, dass alle Haushalte den deutschen Profifußball durch ihre Rundfunkgebühr mittelbar subventionieren, also auch die Spitzengehälter von Trainern und Starkickern. Auch Profi-Boxabende haben im Gebühren-TV nichts zu suchen. Die ARD wurde vom Rundfunkrat des WDR gezwungen, Übertragungen der quotenträchtigen, sportlich jedoch fragwürdigen Darbietungen einzustellen.
Der hohe Anteil für Sport, etwa ein gutes Viertel aller Gebühren, ist in dieser Dimension so wenig mit dem Programmauftrag zu begründen wie die Millionengage für Thomas Gottschalk. Für den Sport aber gilt, dass allein mit ihm Marktführerschaft nach dem Gesetz der Quote möglich ist. In Jahren mit Fußball-WM und Olympischen Spielen sind ARD und ZDF deshalb unbezwingbar. Die anderen medialen Lagerfeuer sind in der fragmentierten Gesellschaft erloschen. Wetten, dass …? wäre auch mit einem Moderatorengenie nicht zu retten gewesen.
Populistische Politiker, so zeigen Debatten um Theater versus Schwimmbäder, Opernhäuser versus Kindergärten, werden die Zukunft der Sender nicht über die Qualität der Programme diskutieren, sondern über die Höhe der Gebühren. Die Umstellung der Gebühr auf eine Abgabe pro Haushalt statt pro Empfangsgerät spült im Moment zusätzliche Mittel in die Haushalte, trotz der geringfügigen Senkung der Abgabe um einen halben Euro. Die Finanzierungsfrage hat die Debatte belebt, aber am Ende darf es nicht ums Geld gehen, sondern um den Auftrag der Sender. Die Diskussion über die Gebühren führt, fürchte ich, nicht ans Ziel, auch wenn sie mit aller populistischen Hingabe betrieben wird. Die Kürzung der Gebühren zu fordern bleibt so populär, wie es unpopulär ist, das Verschwinden der Bundesliga, des Tatorts und des Traumschiffs zu fordern.
Solange die Gebühr bleibt, werden die Anstalten sie auch für Programm ausgeben, das mit ihrem gesellschaftlichen Auftrag nichts zu tun hat. Wer Gebühren kassiert, kann immer mit der Quote argumentieren, indem man die Gebührenzahler zu Kunden erklärt, denen man eben »liefern« muss.
Deshalb wäre es sinnvoll, auf die Gebühr ganz zu verzichten, ebenso wie auf Werbung. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen müsste dennoch nicht abgeschafft werden. Ganz im Gegenteil. Wenn es von zentraler Bedeutung für die Demokratie ist, und das ist meine Auffassung, dann ist dies eine Aufgabe, die aus Steuermitteln finanziert werden müsste – so, wie der Staat auch die »Stiftung Preußischer Kulturbesitz« finanziert, für die er ja auch keine »Kulturgebühr« erhebt.
Solche Vorschläge gibt es ebenfalls. Etwa den, eine nationale Medienstiftung zu gründen, in der ARD und ZDF aufgehen. »Der neue Sender muss zwingend politischer werden: investigativ und aufklärend, provozierend und nicht skandalisierend. Als Verteidiger und Protegé von Meinungsfreiheit und Pluralismus schafft er im besten Fall sogar eine neue politische Partizipation, neue Dialogformate und Serviceangebote.«190
Das müsste keineswegs bedeuten, einen solchen Sender zu einem Staatssender zu machen und die Behördennatur noch zu verschlimmern. Die »Stiftung Preußischer Kulturbesitz«, aber auch viele Theater, Opernhäuser, Museen, Filmfestivals, Universitäten etc. sind staatliche Einrichtungen, aber niemand muss fürchten, dass sich Politiker in ihr Programm einmischen. Die Programme würden nicht von den Parlamenten, sondern von unabhängigen Gremien kontrolliert, denen überwiegend unabhängige Fachleute angehören, die sich als Autoren, Produzenten, Journalisten, Wissenschaftler dafür qualifiziert haben.
Die Programme eines solchen bundesweiten Senders und, wenn es denn in unserem föderal organisierten Staat sein muss, mehrerer regionaler Sender würden in einem solchen Modell von Stiftungen getragen, die im Zuständigkeitsbereich der Länder liegen. Die Zahl der Programme würde reduziert, der Finanzbedarf neu berechnet und als Budget zu Verfügung gestellt. Oberster Maßstab wäre die Sicherstellung höchster Qualität auf den Feldern der Information, der Kultur und der Bildung.
Noch verwechseln die Anstalten Lautstärke mit Hörbarkeit, das Grelle mit dem Erhellenden, das Alberne mit Witz, Reichweite mit Bedeutung. Helmut Schmidt hat einmal gesagt, er halte das Fernsehen für gefährlicher als die Kernenergie. Reaktoren kann man abschalten. Von einem Tag auf den anderen war der Ausstieg beschlossene Sache.
Um im Bild zu bleiben: Vor allem die Sender sollten jetzt schleunigst auf alternative Energien setzen. Denn es ist unbestreitbar, dass ARD und ZDF, vor allem in ihren Hauptprogrammen, Geld und Geduld ihrer Zuschauer über Gebühr verschwenden und ihren Auftrag verfehlen.
So, wie es ist, macht sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen selbst überflüssig.
So, wie es sein sollte, wäre es unverzichtbar.
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Fussnote dazu:
http://zwangsbeitrag.info/wp-content/uploads/2015/05/Gutachten-Rundfunkbeitrag1.pdf (14.06.2015) Autoren: Justus Haucap, Christiane Kehder und Ina Loebert.
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Ein Gesinnungsstaat, auch Postdemokratie titelt ein Kapitel in Herles Buch, solch ein Staat wird die Herrschaft über gelenkte Medien samt Regierungspropagandafernsehen niemals aufgeben.
Herles weiss das, schreibt es aber nicht…
ENDE.